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Über Goethe, seine Farbenlehre und die Physik zu seiner Zeit

„So gross nun die Verehrung ist, welche Goethe durch seine Leistungen in den beschreibenden Naturwissenschaften sich erworben hat, so unbedingt ist auch der Widerspruch, den seine Arbeiten auf dem Gebiete der physikalischen Naturwissenschaften, namentlich seine Farbenlehre bei sämmtlichen Fachgenossen gefunden haben.“

schreibt Hermann von Helmholtz 1853 in seiner immer noch lesenswerten Würdigung von Goethes naturwissenschaftlichen Arbeiten.

Dennoch finde ich, dass es sich lohnt, in Goethes Schriften zur Farbenlehre zu lesen, denn es werden interessante Beobachtungen beschrieben. Als Einführung sollte man nach meiner Meinung mit der „Confession des Verfassers“ (am Ende des zweiten Bandes der Farbenlehre) beginnen.


Als Goethe anfing, sich mit Farben zu beschäftigen, war noch völlig unbekannt, was das Licht ist.

Christiaan Huygens (1629–1695) hatte im Jahr 1678 das nach ihm benannte Prinzip über die Lichtausbreitung durch Elementarwellen vorgeschlagen.

Das grundlegende Werk von Isaac Newton (1643–1727), “Opticks: or, a treatise of the reflections, refractions, inflexions and colours of Light” war 1704 erschienen (4. Auflage 1730 download). Newton hielt das Licht für einen Teilchenstrom und erklärte das Prismenspektrum dadurch, dass er den aufgefächerten, in verschiedenen Farben gesehenen Lichtstrahlen verschiedene Brechbarkeit zuordnete.

Goethes erste Schrift zur Farbenlehre erschien 1791 unter dem Titel „Beiträge zur Optik“, der von ihm in der „Confession des Verfassers“ beschriebene erste Versuch mit dem Prisma muss also schon geraume Zeit vorher stattgefunden haben. Goethe hat später Newtons Prismen-Versuche wiederholt. Da die Sonne in jener Zeit die einzige ausreichend helle Lichtquelle war, erforderte dies beträchtlichen Aufwand. Er hat sich wahrscheinlich über vierzig Jahre intensiv mit den Farben beschäftigt.


In diesem Zeitraum wurden wichtige Entdeckungen zur Natur des Lichts und zum Farbensehen gemacht:

Thomas Youngs Doppelspaltexperiment 1802 löste das Rätsel, ob die Lichtstrahlen aus Teilchen oder Wellen bestünden, zugunsten der Wellen auf. (Dazu gibt es ein interessantes Video von Derek Muller auf Youtube: “The Original Double Slit Experiment”.) Es dauerte allerdings doch noch mehrere Jahre, bis diese neue Erkenntnis unter den Physikern allgemein akzeptiert war.

1807: Thomas Young veröffentlicht die endgültige Fassung seiner Theorie des Farbensehens (A Course of Lectures on Natural Philosophy and the Mechanical Arts. Johnson, London 1807. p. 440, Digitalisat. )

1814: Joseph von Fraunhofer kann durch Beugung am optischen Strichgitter die Wellenlängen bestimmen, wo die (später nach ihm benannten) dunklen Linien im Sonnenspektrum auftreten.

Die Polarisation des Lichtes und damit verbundene Erscheinungen werden entdeckt:

1815: David Brewster veröffentlicht die Arbeit “New properties of Light possessed by the second surfaces of transparent bodies” (19 January 1815) und erhält dafür die Hälfte eines von der Französischen Akademie der Wissenschaften ausgesetzten Preises. Die andere Hälfte geht an Thomas Johann Seebeck für dessen Forschungen zum selben Thema.

1818 schrieb Augustin Jean Fresnel einen Aufsatz über Beugung, mit dem er schließlich auch die letzten Anhänger der Korpuskulartheorie unter den Physikern der Académie des Sciences in Paris von der Wellennatur des Lichtes überzeugen konnte, siehe z.B. die Geschichte vom Poisson-Fleck.

                    
        Blick in einen Becher aus Kunststoff zwischen (a) gekreuzten und
        (b) parallelen Polarisationsfiltern

Mit Seebeck stand Goethe in Kontakt. Seebeck hat Farberscheinungen an doppelbrechenden Kristallen und Glas gefunden und beschrieben und seine Beobachtungen Goethe mitgeteilt. Ich zitiere aus einem Brief Goethes an Seebeck vom 14. Januar 1817:        (Digitalisate von Google)

„Vielen Dank für die chromatische Literatur: das polarisierte Licht und die Lichtmoleküls, die sich um ihren Schwerpunkt drehen, wollen mir freilich nicht in den Kopf. In unserer Sprache wird man mit der Sache geschwinder fertig. Merkwürdig, aber ganz natürlich ist es, daß bei Umkehrung des schwarzen Kreuzes in ein weißes die Farbumkehrung auch die physiologische ist. Dieses Phänomen zeigt sich ganz hübsch und bequem, wenn man fortfährt, in den Spiegel zu sehen, nachdem man den Kubus schnell weggenommen.

Ich fahre fort, diese Dinge immer zu betrachten, und stelle sie mir nach meiner Weise zusammen, und da erscheinen sie fast identisch mit den übrigen Phänomenen, die wir unter der Rubrik der physischen aufführen, und ich sehe diese Ihre Entdeckung noch immer als das Tüpfchen aufs i an, wodurch das ganze Wort klar wird, anstatt daß jene Herrn vom Handwerk mit seltsamen Redensarten die einfach begreiflichen Erscheinungen verfinstern und aus dem Reiche der Natur in das Reich seltsamer Phantasien auf ihrem eingebildeten exakten Wege hinüberschleppen.“

       Möget ihr das Licht zerstückeln,
       Farb um Farbe draus entwickeln
       Oder andre Schwänke führen,
       Kügelchen polarisieren,
       Daß der Hörer ganz erschrocken
       Fühlet Sinn und Sinne stocken:
       Nein! Es soll euch nicht gelingen,
       Sollt uns nicht beiseite bringen;
       Kräftig, wie wir's angefangen,
       Wollen wir zum Ziel gelangen.

      

Aus dem Jahr 1817 stammt auch das rechts wiedergegebene Gedicht, dem man entnehmen kann, wie sich Goethe all den neuen Erkenntnissen verschließt und den einmal eingeschlagenen Irrweg weiter verfolgt.


Und er findet Mitstreiter, wie man dem Aufsatz von Jutta Müller-Tamm, „Farbe bekennen. Goethes Farbenlehre und die Berliner Wissenschaftspolitik um 1820“ entnehmen kann, unter ihnen auch den Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Aus einem Brief Hegels vom 24. Februar 1821:

Bei dem Urphänomen fällt mir die Erzählung ein, die Ew. Exc. der Farbenlehre hinzufügen, – von der Begegnis nämlich, wie Sie mit Büttners schon die Treppe hinabeilenden Prismen noch die weiße Wand angesehen und nichts gesehen haben als die weiße Wand; diese Erzählung hat mir den Eingang in die Farbenlehre sehr erleichtert, und so oft ich mit der ganzen Materie zu tun bekomme, sehe ich das Urphänomen vor mir, Ew. Exc. mit Büttners Prismen die weiße Wand betrachten und nichts sehen als Weiß.

Das ist bemerkenswert, denn bei Goethe ist dann zu lesen „Es bedurfte keiner langen Ueberlegung, so erkannte ich, daß eine Gränze nothwendig sey, um Farben hervorzubringen, und ich sprach wie durch einen Instinct sogleich vor mich laut aus, daß die Newtonische Lehre falsch sey.“

„… wie durch einen Instinct … daß die Newtonische Lehre falsch sey.“ – statt dass ihn dies misstrauisch gemacht hätte, scheint Hegel es für eine Art göttlicher Eingebung gehalten zu haben, die keine Zweifel zulässt, und äußert sich in seinen Vorlesungen über Naturphilosophie (auf Seite 326 )

„Man muß sich an das Göthische Urphänomen halten. Kleinliche Erscheinungen, durch Verzwickungen hervorgebracht, sollen zum Einwand dienen. Schon die Newtonischen Versuche sind verzwickt, schlecht, kleinlich gemacht, schmierig, schmutzig. In hundert Compendien ist diese Farbentheorie nachgeschwatzt. Die von Göthe verfochtene Ansicht ist indessen nie ganz untergegangen, wie er dieß durch die Literatur aufgezeigt hat. Man hat gegen Göthe gestritten, weil er Dichter, nicht Professor ist. Nur die sich Idiotismen, gewisse Theorien u. s. w. gelten lassen, gehören zum Handwerk; was die Anderen sagen, wird ganz ignorirt, als wenn es gar nicht vorhanden wäre. Solche Leute wollen also eine Kaste bilden, und im ausschließlichen Besitz der Wissenschaft seyn, Andern kein Urtheil lassen: so z. B. die Juristen. Das Recht ist aber für Alle, ebenso die Farbe. …“

Hegel fand die Experimente, die schließlich zur Aufklärung über das Wesen des Lichtes und über das Farbensehen führten, anscheinend noch viel kleinlicher, verzwickter und schmutziger als die von Newton und daher nicht wert, zur Kenntnis genommen zu werden, und er war anscheinend der Meinung, dass eine großartige Hypothese durch kleinliche, komplizierte („verzwickte“) Versuche nicht widerlegt werden kann.



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