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Gekrümmte Lichtstrahlen

Windräder eines Windparks ca. 35 km nördlich von Juist, gesehen von Juist aus. (© Chris Dziat. Das Bild ist ein Screenshot aus einem Video. Wiedergabe der Bilder mit freundlicher Genehmigung.)

Mit freiem Auge waren die Windräder kaum zu sehen (Weitwinkelaufnahme, mittlere Brennweite); sie wurden „herangezoomt“. Unter der Voraussetzung gerader Lichtstrahlen und eines geraden Untergrundes wäre dieses Bild nicht möglich. Aber man sieht deutlich die Luftspiegelung nach unten, also sind die Lichtstrahlen, die dieses Spiegelbild erzeugen, gekrümmt.

    

Die Aufnahme wurde am 18. März 2018 gemacht; die Luftschicht unmittelber über der Wasserfläche muss etwas wärmer gewesen sein als die Schichten darüber, so dass sich die Strahlen nach oben krümmen. Die nebenstehende Skizze zeigt dies schematisch (und stark übertrieben). Unten ist die Luft wärmer, der Brechungsindex kleiner und daher die Wellenlänge größer als oben.

Die zackig-wellige Grenzlinie zwischen Himmel und Wasser ist nicht der Horizont, sondern der untere Rand des Spiegelbildes. Der Horizont ist auf der Höhe, wo sich die Rotorblätter und ihr Spiegelbild in dem abgerundeten Knick zu berühren scheinen.

Eine leichte Krümmung der Lichtstrahlen in der Atmosphäre ist immer vorhanden, da die Dichte der Luft und somit ihr Brechungsindex von der Höhe und von der Temperatur abhängt. Das macht sich vor allem bei nahezu horizontal verlaufenden Strahlen bemerkbar. Da die Dichte der Luft im Allgemeinen mit zunehmender Höhe abnimmt, sind die Strahlen gewöhnlich ganz schwach nach unten gekrümmt. Das hat zur Folge, dass die Sichtweite größer ist, als sie ohne die Lichtbrechung wäre, und man kann das berücksichtigen, indem man statt mit der Krümmung der Erdoberfläche mit einer scheinbaren Krümmung rechnet, die etwas geringer ist (größerer scheinbarer Erdradius). Dies wird weiter unten noch genauer ausgeführt.

Allerdings spielt der Temperaturverlauf eine große Rolle. Wenn die Temperatur nach oben zunimmt, kann die Sichtweite stark vergrößert werden, wenn die Lichtstrahlen der Erdkrümmung folgen, und es können sogar Luftspiegelungen nach oben auftreten (Fata Morgana).


Windräder in ca. 40 km bis 60 km Entfernung nordwestlich von Juist, kurz nach Sonnenuntergang am 28. Juni 2018, aufgenommen von Juist aus aus ca. 20 m Höhe. (Screenshot aus einem Video von Chris Dziat.)

Nach der Karte der Offshore Windkraftanlagen in der Deutschen Bucht dürften diese Windräder zu dem Windpark Borkum-Riffgrund II gehören.

Das Bild entstand Ende Juni, als das Wetter sehr warm war. Das Wasser war kälter als die Luft, so dass die unteren Luftschichten vermutlich kühler waren als die etwas höheren (Inversion) und sich erst in größerer Höhe der normale Temperaturverlauf einstellte.

Terrestrische Refraktion

Wie stark krümmen sich Lichtstrahlen in der Atmosphäre? Ich will hier keine komplizierte Rechnung vorführen und beschränke mich daher auf nahezu horizontal verlaufende Strahlen. Diese Bedingung ist beim Blick auf sehr weit entfernte irdische Objekte ja immer erfüllt. Wie in dem kleinen Bild oben angedeutet, ist die Strahlrichtung immer senkrecht auf die Wellenflächen.

    

Wir wählen, um konkret zu sein, den Nullpunkt z = 0 unseres Koordinatensaystems in Augenhöhe am Strand; der Luftdruck betrage in dieser Höhe 1013,25 hPa (Hektopascal), das sind 760 Torr (mm Quecksilbersäule), und als Temperatur nehmen wir 15°C an. Der Brechungsindex der Luft in Höhe unseres Nullpunktes sei n0, einen Meter höher sei er n1.

Die Wellenlänge von Licht in einem Medium ist gegeben durch die Wellenlänge im Vakuum, geteilt durch den Brechungsindex, also

λ = λvac/n.(1)
Lassen wir jetzt eine Lichtwelle in x-Richtung, also von links nach rechts laufen. Wenn die Welle bei z = 0 einen Meter vorangekommen ist, hat sie bei z = 1 m die Strecke n0/n1 Meter zurückgelegt, die Wellenfläche hat sich dadurch etwas geneigt und der Lichtstrahl hat sich daher etwas gekrümmt. Wenn man die Linien, die die Wellenflächen darstellen, weit über die Strahlbreite hinaus verlängert, dann schneiden sie sich im Krümmungsmittelpunkt des Strahls. Die z-Koordinate des Krümmungsmittelpunktes ist der Krümmungsradius R. In der nebenstehenden Skizze wurde angenommen, dass die Dichte der Luft nach oben zunimmt (wie bei Luftspiegelungen über heißem Asphalt). Man findet zwei ähnliche Dreiecke – das große und das kleine blaue – und daraus kann man ablesen, dass
R : 1 = 1 : (1 − n0/n1),       also      R = 1/(1 − n0/n1)(2)

(Längeneinheit ist das Meter, das wird in den Gleichungen nicht dazugeschrieben.) Für eine Krümmung nach unten erhält man einen negativen Krümmungsradius.

Der Brechungsindex von Luft unterscheidet sich nur wenig von 1, dem Brechungsindex des Vakuums, und dieser Unterschied ist proportionnal zur Dichte ρ der Luft. Somit ergibt sich für n1

n1 = 1 + (n0 − 1)ρ10,(3)
Bewegt sich ein Luftvolumen von unten nach oben, so dehnt es sich wegen des abnehmenden Druckes aus und kühlt sich dabei etwas ab, wenn kein Wärmeaustausch mit der Umgebung erfolgt. Deshalb sinkt die Temperatur im Normalfall mit zunehmender Höhe. Für so eine adiabatische Volumenänderung gilt
pVγ = const       oder, was dasselbe ist,       pγ = const(4)
mit γ = Cp/Cv.   (Cp und Cv sind die Wärmekapazität bei konstantem Druck bzw. konstantem Volunem); für Luft ist γ = 1.4. Daraus folgt
ρ10 = (p1/p0)1/γ.(5)
Der Luftdruck ist durch das Gewicht der Luftsäule über der betrachteten Fläche von 1 m2 gegeben. Der Unterschied zwischen p0 und p1 ist genau das Gewicht von einem Kubikmeter Luft, also ρg, mit der Erdbeschleunigung g = 9.806 m/s2, also
p1 = p0 − ρg (6)

Jetzt haben wir alle Beziehungen, die wir brauchen, um den Krümmungsradius des annähernd horizontalen Lichtstrahls zu berechnen.

In Tabellenwerken oder dem Internet findet man die benötigten Zahlenwerte.

Als Luftdruck p0 haben wir 1013.25 hPa angenommen. Ein Kubikmeter enthält bei diesem Druck und 15°C 1.2250 kg Luft, die Druckdifferenz beträgt also 1.2250×9.806 Pa und daraus ergibt sich

p1/p0 = (101325−12.01235)/101325 = 101312.31692/101325 = 0.9998814  (7)
und aus Gl. (5)
ρ10 = 0.9999153.
Der Brechungsindex von Luft (unter Normbedingung, d.h. 15°C und 1013,25 hPa) ist
nLuft = n0 = 1.000292.
Daraus folgt mit Gl. (3)
n1 = 1.000291975
und aus (2) schließlich
R = 1/(1 − 1.000292/1.000291975) = −40011679 [m],
also, auf Kilometer gerundet, |R| = 40012 km und der Strahl ist nach unten gekrümmt.

Um zu sehen, welchen Einfluss das Wetter auf die Krümmung der Lichtstrahlen haben kann, betrachten wir jetzt auch noch den Fall einer Inversionswetterlage, wenn also die Temperatur mit zunehmender Höhe nicht abfällt, sondern ansteigt. Ein typischer Wert ist ein Temperaturanstieg um 1°C auf 100 m Höhenzunahme, also 0.01 K/m.

Statt Gl. (5) verwenden wir die Gasgleichung

pV ∝ T, (8)
und erhalten
ρ10 = p1/p0×T0/T1 (9)
mit Gl. (7) und T0 = 288.15 K und T1 = 288.16 K schließlich
n1 = 1 + 0.000292×0.9998814×288.15/288.16 = 1.000291955
R = 1/(1 − 1.000292/1.000291955) = −22346272.6 [m]
also |R| = 22346 km.

    

Wie kann man mit krummen Lichtstrahlen die Sichtweiten auf der gekrümmten Erdoberfläche bestimmen? Das sieht zunächst recht kompliziert aus. Aber da die Krümmungen sehr gering und die Sichtweiten immer sehr klein im Vergleich zum Erdradius sind, ist eine einfache Näherung zulässig, die sich am optischen Eindruck orientiert: durch die Krümmung der Strahlen verringert sich scheinbar die Krümmung der Erdoberfläche. Man kann also die Krümmung der Lichtstrahlen von der Krümmung der Erdoberfläche abziehen, erhält dadurch den scheinbaren Erdradius und kann mit geraden Strahlen rechnen. Die nebenstehende Skizze (in der die Krümmungen sehr stark übertrieben sind) soll das verdeutlichen. Der für das Auge hinter dem Horizont verschwundene Teil des Windrades ist blau gezeichnet.

Krümmung ist definiert als Richtungsänderung (Winkel) pro Wegstrecke und ist einfach der Kehrwert des Krümmungsradius, wie man sich am Beispiel eines Kreises leicht überlegen kann. Somit erhalten wir für die zwei berechneten Fälle die scheinbaren Erdradien

Rs = 1/(1/|RErde| − 1/|R|) (10)

von 7578 km und 8912 km statt dem wirklichen Wert von 6371 km.

    

Bei Inversionswetterlagen ist allerdings meist der Temperaturanstieg nach oben nicht gleichmäßig und kann schichtweise deutlich über dem Durchschnitt liegen, so dass dort die Krümmung auch größer sein kann als die der Erde, was die seltenen Luftspiegelungen nach oben bewirken kann.


Mit Hilfe des scheinbaren Krümmungsradius Rs kann man genau so einfach wie ohne Berücksichtigung der Refraktion Sichtweiten berechnen, die Entfernung des Horizonts oder auch, wieviel bei gegebener Entfernung schon hinter dem Horizont verschwunden ist. In der nebenstehenden Skizze ist der unsichtbare Teil des Windrades wieder blau gezeichnet.

Entfernung des Horizontes auf dem Meer (nach Pythagoras; a: Höhe des Auges über dem Meeresspiegel):

(Rs + a)2 = Rs2 + h2
daraus
h = √2aRs + a² ≈ √2aRs, (11)

die letzte Näherung ist zulässig, so lange a << Rs. Für w erhält man einen ähnlichen Ausdruck, und damit wird die Entfernung s

s = h + w = √2Rs(√a + √b) (12)

Daraus kann man die Höhe b des hinter dem Horizont verschwundenen Teiles des Windrades ausrechnen.

b = s2/(2Rs) + a − 2sa/2Rs (13)

Es soll aber hier darauf hingewiesen werden, dass bei besonderen Wetterlagen große Abweichungen in beiden Richtungen möglich sind.


Eine abwegige Deutung der hier beschriebenen Erscheinungen habe ich im Gruselkabinett beschrieben.



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